Von Dunkelklaus
Es gibt Konzerte, die herausragen. Sie graben sich tief ins Herz ein. Sie wirken nach über Wochen, auch wenn sich längst andere Musiker im Kalender dazwischen geschoben haben. So eines gab es am 9. Oktober in Hamburg.
Da haben Nick Cave und seine sechs Bad Seeds in der fast ausverkauften Hamburger Sporthalle aufgespielt. Im Vorfeld hatte ich Zweifel. Kann Nick es noch? Immerhin ist der australische Punk mit seinen offenen Hemden und maßgeschneiderten Anzügen auch schon 60 Jahre alt. Die Herren hinter ihm auf der Bühne könnten auch einer gesetzteren Jazzband entsprungen sein. Und dann ist da noch die Sache mit Caves Sohn Arthur, der vor zwei Jahren an Englands Südküste in den Tod stürzte. Der Musiker hat seine Trauer in das Album Skeleton Tree gegossen, noch düsterer und melancholischer als je zuvor. Geht so etwas wie Trauerarbeit überhaupt live?
Ja. Und wie. Denn Cave berührt seine Fans mit dem Auftritt. Und das nicht im übertragenen Sinne, sondern wortwörtlich. Er sucht den Körperkontakt zum Publikum, ergreift die sich ihm entgegen streckenden Hände, stützt sich vorgelehnt auf starke Arme seiner Fans. Vor dem Publikum und Musiker trennenden Graben ist ein Laufsteg aufgebaut, den Cave immer wieder in Besitz nimmt, um sich vom Publikum im Wortsinn tragen zu lassen. Später geht er mitten ins Publikum hinein. Und zu den Zugaben lässt er die Fans sogar auf die Bühne, intoniert zwischen ihnen den Weeping Song und Stagger Lee.
Es ist wie eine Mischung aus Therapiesitzung und Heiligenmesse. Die traurige Euphorie steckt an, Musiker und Publikum geraten in Trance. Als Cave eine mindestens drei Jahrzehnte jüngere huckepack sitzende Frau ansingt und ihr am Ende mit seinem schweißgetränkten Handtuch das Gesicht abtupft, ist das kein bisschen peinlich. Es wirkt fürsorglich und weich, passt alles wunderbar.
Und diese Musik! Cave eröffnet mit den neuen Trauerliedern von Skeleton Tree, Anthrocene, Jesus Alone, Magneto. Die sind live weit kraftvoller als auf dem Album und fügen sich wunderbar zu mehr als drei Jahrzehnte alten Perlen wie Tupelo zu einem beschwörend düsteren Klanggemälde, in dem es Emotionen in allen Farben zu entdecken gibt: Wut, Trauer, überquellende Liebe, Zärtlichkeit, Lust am Leben und an der gut gemachten Musik. Herausragend Girl in Amber. Es ist ein perfektes Konzert.
Man könnte sich ärgern über die Raubritterpreise beim Parken, über überteuertes Fastfood in der Sporthalle, das Holsten im Plastikbecher oder krumme Garderobenpreise (wer bitteschön nimmt 2,20 Euro für eine Jacke?). Doch das ist alles weggeblasen, als Cave seine Fans mit dem hymnischen Keep On Pushing 2013er Push the Sky Away in die Hamburger Nacht entlässt. Es ist alles gut.
Wer Cave noch erleben will, er ist noch auf Tour: Am Sonntag, 22. Oktober in Berlin (schon komplett ausverkauft), am 2. November kommt er nach München (nur noch wenige Tickets verfügbar).