Von CorviNox
Das Amphi-Festival in Köln stand bis 2017 auf meiner „Muss-ich-mal-besuchen“-Liste nicht sonderlich weit oben. Ein Fehler.
Eine Einladung der Gruftboten änderte meine Meinung derartig, dass ich von nun an dieses feine Event am Rhein nicht mehr missen möchte!
Wer mich kennt, weiß: Ich bin normalerweise kein großer Freund elektronischer Töne. Normalerweise neige ich zu derben Gitarren oder zu melancholischen Instrumenten. Hin und wieder reiße ich auch schon mal mein Met-gefülltes Horn zu Mittelalterklängen in die Luft. Von daher fühlte ich mich vom Amphi bisher nicht unbedingt angesprochen.
Dann kam die Einladung der Gruftboten, uns in Köln zu treffen.
Glücklicherweise fand ich schnell eine Mitfahrgelegenheit, und dem Wochenende stand nichts mehr im Wege.
Freitag
Der Rat, schon freitags anzureisen, stellte sich als richtig heraus. Wir konnten dem berüchtigten Feierabendverkehr rund um Köln ein Schnippchen schlagen und hatten auch noch genügend Zeit für das inoffizielle „Viktorianische Picknick“ am Freitagnachmittag im Kölner Friedenspark.
Bei strahlendem Sonnenschein kamen Lords und Ladies in wunderschönsten Kleidern bei ausgelassener Stimmung zusammen, um gemeinsam im Schatten der großen Bäume des Parks zu dinieren. Und wieder einmal stelle ich fest, was so manch einer erleiden muss, wenn er beziehungsweise sie sich in diese Kleider zwängt. „Wer schön sein will muss leiden“, machte für mich nie mehr Sinn als in diesem Moment. Zwar wollte ich zunächst selbst Gehrock und Zylinder anlegen, aber bei den Temperaturen beließ ich es bei Rüschenhemd und Weste. Unvorstellbar, welche Hitze bei so mancher Lady wohl unter dem Reifrock herrschen musste.
Kleiner Tipp für Autofahrer: Die kostenlosen Parkplätze rund um das Amphi-Gelände auf dem Messegelände nutzen und dann mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Stadt. Die Parkautomaten rund um den Friedenspark und in weiten Teilen der Stadt fressen immerhin einen Euro für 20 Minuten Parkzeit. Wenn die Zeit in dem wunderschönen Park wie im Flug vergeht, kann das teuer werden.
Nach einem kleinen Spaziergang über die Uferpromenade und einer Stärkung machte ich mich auf zum Festivalgelände, holte vorab mein Bändchen und kaufte mich noch für die Pre-Party (8 Euro) ein.
Tipp: Kauft die Karten früh und am direkt beim Veranstalter (Protain). Immer wieder kamen mir beim Einlass am Freitagabend ab 22 Uhr kopfschüttelnde Menschen entgegen, die ihre Karte von Drittanbietern hatten. Diese mussten erst offiziell gegen „richtige“ Karten getauscht werden, bevor es in die Einlass-Schlange ging. Nach Mitternacht war die Party sogar ausverkauft, sodass mancher enttäuscht draußen bleiben musste.
Zur Party selbst fallen mir nur zwei Worte ein: Warm und laut! Das Theaterhaus, in welcher die Bässe tobten, glühte unter der Hitze.
Meine größte Erheiterung am Abend waren zwei „inoffizielle Pfandsammler“, welche vor dem Eingang eine improvisierte Abgabestation aufbauten. Im Gegensatz zu den furchtbar strengen Pfandautomaten war es allerdings nicht nötig, die Dosen oder Flaschen leer in den Einkaufswagen zu legen. Die Entleerung übernahmen die Beiden gewissenhaft selbst… Zug für Zug.
Samstag
Der Samstag begann für mich früh … viel zu früh. Um 7 Uhr weckte mich meine Remscheider Gastgeberin, welche mich bis dato nur vom M'era Luna kannte, und mir dennoch sofort einen Platz auf Ihrer Couch anbot, zum Frühstück. Schließlich wolle man Punkt 10 Uhr am Einlass sein. Nachdem ich erst um 3:30 Uhr ins Bett kam, musste ich mir wohl um das Schminken von dunklen Augenringen keine Sorgen mehr machen. Aber als Kaffee, Rosinenbrötchen und sogar eine Aspirin schon für mich bereit lagen, wurde die Stimmung schlagartig besser. Mein Ruf eilte mir wohl voraus.
So standen wir fertig geschniegelt und gestriegelt um 9:30 Uhr vor dem Gelände.
Punkt 10 gab man uns den Weg frei auf das noch unentdeckte Land.
Während ich ohne Probleme die Security passierte, musste eine Begleiterin ihren Schirm zurücklassen. Der Hinweis, dass diese Info nicht auf der offiziellen Internetseite zu lesen war, ließ den Ordner kalt. „Anweisung ist Anweisung.“ Über Facebook kamen wohl kurzfristig neue Infos, an diese müsse sich nun gehalten werden.
Mein erster Gang ging zum Merchandise-Stand direkt hinter dem Eingang. Wer das M'era in Hildesheim kennt, weiß um die Not, sich früh mit Festivalshirts in der richtigen Größe einzudecken. Da alle Motive genial waren, konnte ich mich kaum entscheiden. Um viele Euro leichter (aber glücklich) setzte ich meinen Gang über das Festival fort und war überrascht über das blitzsaubere und wunderschön angelegte Gelände. Der Tanzbrunnen erwies sich regelrechte Parkanlage, umsäumt mit Blumenbeeten und weitläufigem Terrain.
Meine Gruppe steuerte die „Insel“ an. Eine erhöhte Fläche inmitten eines künstlichen Teichs mit Bänken und Tischen, welche unter einem Baldachin ein schattiges Plätzchen und einen fantastischen Blick über das Gelände bis hin zur Hauptbühne bot.
Das Sahnehäubchen war der Metstand, welcher mich mit einer mir bis dahin unbekannten Köstlichkeit in Berührung brachte: Wikingerblut-Slushy! Halbgefrorenes, köstliches Kirsch-Met! Genial bei den Temperaturen.
Mir war klar, dass man mich fortan nur noch unter Gewalteinwirkung von hier wegbekommen kann.
Selbst ein plötzlich einsetzender, extremer Regenschauer, welcher anfangs noch freudig von der Masse begrüßt wurde, änderte dies nicht.
Allerdings war ich nicht der Einzige, der diesen Ort für sich entdeckte. Bald wurden weitere Regenflüchtlinge „angespült“, sodass ein Ordner die Insel vor Überfüllung bewahren musste. Fortan konnte man die Insel nur noch betreten, wenn andere diese vorher verließen. Ärgerlich, da man sich nach jedem Toilettengang wieder neu anstellen musste. Egal, Sicherheit geht nun mal vor.
Schon bald eröffneten Empathy Test das Amphi und ich stellte verwundert fest, wie viele Besucher sich schon für einen Opener um 11 Uhr vor der Bühne sammelten. Dies kannte ich so bisher von noch keinem Festival. Respekt.
Erst um kurz vor halb zwei, als Chrom aufspielten, verließ ich zum ersten Mal meine geliebte Insel und badete in der Menge. Wieder einmal überraschte ich mich selbst: Normalerweise hasse ich Menschenmassen. Nicht aber, wenn ich unter meinesgleichen bin. Ich genoss die Stimmung mit jedem Schritt und jedem Atemzug.
Dann machte mich auf Nahrungssuche und konnte mich kaum entscheiden, was ich zuerst essen wollte: Chinesisch, Burger, Pizza, Kartoffelpuffer, Fritten, Döner? Ich entschied mich für Pulled Pork und schlenderte durch die Marktgassen. Mehr als ein Mal fand ich im gut gefüllten Sortiment der Händler genau jene Dinge, die am Eingang aus Sicherheitsgründen abgegeben werden mussten.
Langsam machte ich mich in Richtung Hauptbühne, um Tanzwut zu sehen. Obwohl diese eigentlich genau meinen Geschmack treffen, stellte schnell fest, dass ich die Spielleute wohl schon zu oft gesehen haben musste. Ich hege immer noch die konspirative Theorie, dass es sich bei Tanzwut um mehrere Bands gleichzeitig handeln muss, die unter gleichem Namen auftreten. Anders kann ich es mir nicht erklären, wie diese Band es schafft, auf fast jedem Festival in Deutschland aufzutreten.
Eine Handy-Nachricht riss mich aus meinen Gedanken. „Sind im Beach-Club!“, ließ mich meine Gruppe wissen. Wo zu den sieben Höllen war das denn? Ich dachte, ich hätte bereits alles vom Gelände gesehen?
Ich ging zur kostenlosen Trinkwasserausgabe und füllte mein Trinkhorn. (Wer immer die Idee hatte, auf Festivals kostenloses Wasser anzubieten, soll sich von mir geküsst fühlen. Bringt einen geeigneten Trinkbehälter mit). Während des Zapfens erfragte ich den Weg zum Beach-Club, dessen eigentlich offensichtlichen Eingang ich zwischen zwei Fressbuden total übersehen hatte.
Dort angekommen verschlug es mir die Sprache: Feinster Sand überdeckt ein weitläufiges Gebiet mit Sonnenliegen, Relaxsesseln und sogar Himmelbetten (!). Das komplette Mobiliar war in weißer Farbe gehalten, so dass die schwarzen Gestalten dazwischen einen sehr lustigen Kontrast bildeten und ferner bewiesen, dass unsere Subkultur gar nicht so lichtscheu ist wie allgemein behauptet wird.
Schnell fand ich meine Gruppe, fläzte mich in eine der Liegen und ließ Goth einen guten Mann sein. Selbst von hier aus war die Musik der Hauptbühne noch einigermaßen gut zu hören. Zusammen mit dem wunderschönen Rheinpanorama mit Dom war dies mein Happy-Place für den Rest des Abends.
Und so schälte ich mich erst am Abend zum Auftritt von VNV Nation wieder aus der Liege, nur um festzustellen, dass der Platz vor der Bühne hoffnungslos überfüllt war. Nach 30 Minuten Gedrängel sehnte ich mich zurück nach meinem Strandparadies. Ich holte mir ein Wikingerblut-Slushy und legte mich in den Sand. Dabei erlebte ich etwas, das mir schon lange nicht mehr zuteil wurde. Während die Sonne hinter der Silhouette Kölns unterging und den Himmel blutrot färbte, trug mir eine leichte Brise die Klänge von VNVs „Illusion“ zu. Umringt von den wundervollen Menschen der schwarzen Szene, hatte ich den perfekten Moment.
Ich wusste, dass ich fortan nun jedes Jahr hier sein werde.
Sonntag
7:30 Uhr. Wieder wurde ich viel zu früh geweckt, aber wieder bestens umsorgt. Ein Gruppenmitglied sorgte sogar schon um 9 Uhr für „Festival-Frühstück“. Schließlich wäre ein Bier so wichtig wie ein Fruchtzwerg ... oder so ähnlich.
Gleiches Ritual wie am Vortag. Einlass: 10 Uhr. Eroberung des Inselparadieses. Wikingerblut-Slushy. Warten auf Massive Ego als erste Band des Tages … und ich merkte, dass ich langsam Gefallen an elektronischer Musik bekam. Dies sollte sogar in meinem persönlichen Festival-Highlight enden: Um 13:30 war ich an der Orbit Stage im Bauch eines Party-Dampfers am Rheinufer. Geniale Idee eigentlich. Nur dass der Rhein so wenig Wasser führte, dass das Schiff nicht direkt am Festivalgelände ankern konnte. Und so brachte ein Shuttlebus dunkle Menschen von einem Rheinufer zur Anlegestelle der MS RheinEnergie ans andere.
Apropos Alternativ: Der verbliebene Fußweg zum Schiff brachte zwangsläufig das Kölner Volk in direkten Kontakt zur Szene. Neben obligatorischem Kopfschütteln erntete man auch viel Zuspruch, und manchmal auch komische Fragen wie: „Fährt das Schiff nach Wacken?“
Doch zurück zu meinem persönlichen Highlight. Auf der Orbit Stage spielte die mir bis dato unbekannte Band „We Are Temporary“. Krass fluoreszierende Masken und Instrumente vor einer matten schwarzen Bühne waren schon beeindruckend genug. Aber was mich dann emotional überrollte, hatte ich nicht erwartet. Ich will nicht zu viel ins Schwärmen geraten, zumal Musik eine sehr subjektive Erfahrung ist, aber der tiefe Bass ließ das ganze Schiff vibrieren, während der Sänger das Gleiche mit meinen Gefühlen schaffte. Chapeau! So war ich regelrecht entsetzt, wie schnell 45 Minuten vergehen können.
Da Rummelsnuff anschließend die Schiffsbühne enterten und mir dieser Kontrast zu heftig war, machte ich mich wieder zurück zum eigentlichen Festivalgelände und versprach mir, viel öfter unbekannte Bands zu besuchen. Wenn nicht auf einem Festival, wann sonst?
Doch zuerst kamen wir gerade rechtzeitig zur Main Stage zurück um „Das Ich“ zu sehen. Wie immer großartig. Eine der wenigen Bands, die mich seit vielen Jahren konstant begleitet und dabei auch ohne E-Gitarren auskommt.
Ich bahnte mir meinen Weg zurück zur Insel. Obwohl diese auf Grund von immer wieder einsetzenden Regenschauern überrannt war, ergatterte ich noch einen guten Sitzplatz und verbrachte den Rest des Abends in bester Gesellschaft. Im Hintergrund spielte eine hervorragende Band nach der anderen, von welcher mich jedoch selbst Eisbrecher, die sicher ihre gewohnt gute Show leisteten, nicht so sehr begeistern konnte wie die Gesamtheit dieses Wochenendes.
Somit verließ ich das Amphi mit drei neuen Erfahrungen:
1. Es müssen nicht immer die Headliner sein. Ich werde fortan viel öfter die Bands besuchen, von denen ich noch nie etwas gehört habe.
2. Elektro ist gar nicht soooooo schlecht.
3. Ein Festival in unserer Szene lebt nicht nur durch die Musik, sondern vor allem durch die fantastischen Menschen.
In diesem Sinne
Euer CorviNox