So verzweifelt, so romantisch: Girls Under Glass verabschieden sich mit furiosem Clubkonzert in Berlin - Konzert-Rückschau mit Bildergalerie

Girls Under Glass in Berlin, 2. September 2017 / Foto: Batty Blue
Girls Under Glass in Berlin, 2. September 2017 / Foto: Batty Blue

Es gibt Bands, die kennt man vom Namen, vielleicht kann man ihr auch den einen oder anderen Song zuordnen und hat dazu getanzt, aber das war es auch schon. Eine Schande, dass ausgerechnet Girls Under Glass bei den Gruftboten zu eben diesen Bands gehörten. Es sollte tatsächlich bis zum allerallerletzten Clubkonzert der seit 1986 musikalisch aktiven Hamburger dauern, bis diese Lücke endlich geschlossen wurde. Ach, wie traurig. Und wie toll! Denn das Konzert war sensationell. Hier die Gruftboten-Konzert-Rückschau:

Der Privatclub in Berlin / Foto: Batty Blue
Der Privatclub in Berlin / Foto: Batty Blue

Die Location ...

 ... heißt Privatclub und ist ein schnucklig-plüschiger Club im Berliner Stadtteil Kreuzberg (zwischen den U-Bahnstationen Görlitzer Bahnhof und Schlesisches Tor), sogar das Licht auf den sauberen Toiletten war rot (Nachschminken? Vergesst es!). Es gibt einen Raucherraum mit bequemen Sesseln, eine Theke mit Barhockern, eine Garderobe und eine ziemlich kleine Bühne. Kein Wunder, dass beide Bands des Abends auf ein raumgreifendes Schlagzeug verzichteten. Dafür waren Licht und Sound super.

Insgesamt passen hier rund 200 Leute rein, bei der Vorband, die für Berliner Verhältnisse früh, um acht Uhr, loslegte, waren geschätzt etwa 70 da. Bald füllte sich der Club, wenn auch am Ende noch ein paar mehr reingepasst hätten. Die Stimmung war sehr gut, am Merch-Stand bildete sich später sogar ein kleines Fan-Gedränge. Anwesend waren überwiegend Indie- und Gothic-Fans älterer Bauart, aber auch ein paar Babybats und Stinos.

Seasurfer in Berlin, 2. September 2017 / Foto: Batty Blue
Seasurfer in Berlin, 2. September 2017 / Foto: Batty Blue

Die Vorband ...

... namens Seasurfer um Mastermind und Gitarrist Dirk Knight aka Dirk Ritter (Dark Orange) boten feinsten Shoegaze-Gitarrenteppich-Sound, garniert mit Sphärengesang der beiden frisch hinzugekommenen und stimmgewaltigen Sängerinnen Änni Bird und Apolonia.

 

Die Musik ist knifflig einzuordnen, es schwirren einem beim Zuhören gleich eine ganze Reihe von Bands durch den Kopf, mal denkt man an My Bloody Valentine, mal an Sonic Youth oder an The Jesus and Mary Chain, mal an Dead Can Dance oder gar an Pop-Chanteusen à la Tanita Tikaram. Einigen wir uns also darauf: Seasurfer bilden ihr eigens Genre, man könnte es Shoegaze-Dream-Wave-Pop-Etheral-Indie-Punk-Pop nennen. Oder so. Auch wenn die Gruftboten etwas mehr Varianz und auch mal ein ganz normales Lied mit einem besser erkennbaren Muster (Strophe-Refrain-Strophe) gut gefunden hätten: Als Opener waren Seasurfer die richtige Wahl.

Thomas Lücke (Girls Under Glass) in Berlin, 2. September 2017 / Foto: Batty Blue
Thomas Lücke (Girls Under Glass) in Berlin, 2. September 2017 / Foto: Batty Blue

Geteiltes Leid, doppelte Freude

Der Gig von Girls Under Glass war zweigeteilt, im ersten Part übernahm Thomas Lücke, Sänger aus den Gründerjahren der Band, das Mikro. Es folgten acht hochemotionale Songs, eine rockige Auswahl aus den ersten Alben der fleißigen Hamburger (wer bei discogs.com durchzählt, kommt auf sagenhafte 15 Alben!).

Unterm Strich zeigte sich in diesem Teil des Gigs die ganze, traurige, hilflose und wütende Verzweiflung der End-Achtzigerjahre, fulminant, energisch und gestenreich präsentiert von Thomas Lücke und der gut aufgelegten Band. Top!

 

Bester Song dieses Parts: "Lucky" (was sonst?! War ja schließlich auch unser Gruftboten-Video der Woche), dicht gefolgt vom elegischen "Flowers". Beeindruckend.

Volker Zacharias (Girls Under Glass) in Berlin, 2. September 2017 / Foto: Batty Blue
Volker Zacharias (Girls Under Glass) in Berlin, 2. September 2017 / Foto: Batty Blue

Für Part zwei legte Volker Zacharias die Gitarre weg und übernahm das Mikro. Seine neun nicht weniger druckvoll vorgetragenen Lieder spannten den Bogen über die Neunzigerjahre bis heute, es wurde elektronischer, waviger, wenn man so will, und auch hoffnungsvoller, ja teilweise gar romantisch. Doch Krach gab es natürlich auch, eine ziemlich perfekte, tanzbare Mischung.

 

Bester Song aus diesem Part: "Reach For The Stars", das vielleicht bekannteste Lied von Girls Under Glass, das viele wohl mit der Stimme von Peter Heppner verbinden, der das Lied seinerzeit zusammen mit GUG aufgenommen hat. Klasse war auch "Feuerengel".

 

Das Besondere: Dank eines passgenauen Technikausfalls zum Start von "Reach For The Stars" bekamen die entzückten Fans von dem Lied eine spontane Akustik-Version nur mit Stimme, Gitarre und Bass geboten. Kreativ-Kopf und Keyboarder Hauke Harms mag sich über die Panne geärgert haben. Aber es war großartig!

Girls Under Glass in Berlin, 2. September 2017 / Foto: Batty Blue
Girls Under Glass in Berlin, 2. September 2017 / Foto: Batty Blue

Bester Taschentuch-Moment ...

... war die Umarmung der beiden Sänger, welche die wunderbar rockige wie textlich perfekt zur Situation passende Zugabe Nummer eins, "Ohne Dich", gemeinsam bestritten. "Ohne Dich, ohne Dich ... schaff ich es nicht" - wie wahr.

 

 

Schönstes Outfit ...

... war die sportliche Nu-Goth-Klamotte von Seasurferin Änni - mit Kapuze, Kniestrümpfen und silbernen Dr. Martens. Super!

 

 

Bester Spruch ...

... kam von Volker Zacharias, der nach "Reach For The Stars" Gitarrist Lars Baumgardt mit den Worten "Alter, Du hast es gerettet!" lachend auf die Schulter klopfte.

Lars Baumgardt (Girls Under Glass) in Berlin, 2. September 2017 / Foto: Batty Blue
Lars Baumgardt (Girls Under Glass) in Berlin, 2. September 2017 / Foto: Batty Blue

Rätsel des Abends ...

... war die erstaunliche Entdeckung, dass Gitarrist Lars Baumgardt eine frappierende Ähnlichkeit mit Westbam aufweist. Tse...

 

 

Beste Info ...

... die zumindest den Besuchern des diesen Freitag startenden NCN-Festivals im Kulturpark Deutzen in der Nähe von Leipzig gefallen könnte: Sowohl Seasurfer als auch Girls Under Glass spielen beim NCN, die einen am Freitag (GUG), die anderem am Samstag.

Nanu? Girls Under Glass wollten sich doch von der Bühne zurückziehen, oder? Nicht ganz: Es soll keine Clubkonzerte mehr geben. Und Festivals sind ja keine Clubkonzerte. Zum Glück.

Setlist Girls Under Glass vom 2. September 2017 / Foto: Batty Blue
Setlist Girls Under Glass vom 2. September 2017 / Foto: Batty Blue

 

Schade war ...

... dass dass Konzert (mit acht plus neun plus zwei Zugaben) für unseren Geschmack zu knapp ausfiel. Wir hätten gern mehr gehört.

Girls Under Glass in Berlin, 2. September 2017 / Foto: Batty Blue
Girls Under Glass in Berlin, 2. September 2017 / Foto: Batty Blue

Fazit: Eine tolle, viel zu späte Entdeckung, Asche aufs Gruftboten-Haupt. Wer die Chance hat, Girls Under Glass live zu sehen: Hingehen!

Girls Under Glass am 2. September 2017 in Berlin - Die Bildergalerie