Mit Herz und Hirn: Tanzen, Schwelgen und ein bisschen Philosophieren beim E-tropolis in Oberhausen

Von CorviNox

Project Pitchfork, E-tropolis-Festival 2018 / Foto: Batty Blue
Project Pitchfork, E-tropolis-Festival 2018 / Foto: Batty Blue

Wer sich an meinen Bericht vom Amphi 2017 erinnert, dem kommt vielleicht auch meine Aussage in den Sinn, dass ich mich fortan öfter mal an etwas Neues wagen werde. Die Einladung zum E-tropolis in Oberhausen, auf das meine lieben Gruftboten-Kollegen schon seit Jahr und Tag schwören, stellte eine gute Gelegenheit dar, diesen Vorsatz in die Tat umzusetzen. Und was soll ich sagen? Es hat mich zutiefst verstört, gewaltsam mitgerissen und letztlich hingebungsvoll berührt.

E-tropolis-Festival 2018 in der Turbinenhalle in Oberhausen / Foto: Batty Blue
E-tropolis-Festival 2018 in der Turbinenhalle in Oberhausen / Foto: Batty Blue

Wind, Wertbons und ein Schließfach 

 

 

Ein eisiger Wind wehte den 4500 Besuchern am 17. März 2018 des erstmals ausverkauften E-tropolis in Oberhausen entgegen. Erfreulicherweise dauerte das Anstehen nur kurz, die Ordner waren gutmütig gegenüber der Besucherschar in allen Variationen von Schwarz. Drinnen angekommen folgte ich dem Rat von Batty und tauschte mein Geld gegen Wertbons, um direkt weiter zu den Spinden zu ziehen. Für 3 Wertbons (also 3 Euro) erhält man einen Schlüssel für ein Schließfach, in dem man gerade so Jacke und Wertsachen verstauen kann. Die Entscheidung, dies frühzeitig zu tun, erwies sich als richtig und sei hier an den Leser weitergegeben. Später am Abend  sind von den 3000 Fächern nur noch schwer welche zu ergattern.

Project Pitchfork, E-tropolis-Festival 2018 / Foto: Batty Blue
Project Pitchfork, E-tropolis-Festival 2018 / Foto: Batty Blue

Die Location 

 

Ein Rundgang durch die Turbinenhalle erinnert tatsächlich an die legendäre Unterstadt aus Fritz Langs Filmepos „Metropolis“. Dort lebte die Arbeiterklasse und musste im mühsamen Tagewerk die schweren Maschinen zum Erhalt der dekadenten Oberschicht bedienen.

Große Metallbauten erinnern hier in Oberhausen noch heute an die ehemalige industrielle Verwendung in den 20er-Jahren, als der SciFi-Stummfilm in den Lichtspielhäusern lief.

E-tropolis-Festival 2018 / Foto: Batty Blue
E-tropolis-Festival 2018 / Foto: Batty Blue

Große Auswahl, wenig Umweltschutz 

 

Doch wo einst schwer geschuftet wurde, sollte heute gefeiert werden. An allen Ecken und Enden der Turbinenhalle stehen gut erreichbare Getränkestände und versorgen den durstigen Arbeiter, Pardon ... den Tänzer mit einer erfreulich großen Auswahl an Erfrischungen. Einzig der Umstand, dass alle Getränke in Plastikbechern (ohne Pfand!) ausgeschenkt wurden, rief in mir ein leichtes Bedauern aus. Dies ist nicht nur nicht umweltfreundlich, sondern schon nach kurzer Zeit stapelten sich auch die leeren Plastikbecher auf jeder freien Stellfläche des Areals.

Nachdem ich endlich Batty Blue nach viel zu langer Zeit (das M'era Luna ist auch schon wieder Monate her) wieder in die Arme schließen konnte, führte sie mich weiter in die zweite Halle mit der Second Stage. Diese war nur minimal kleiner als die Main Stage und dank großer Wärmerohre an der Decke gut beheizt. Dem frierenden Pilger zum Wohle.

E-tropolis-Festival 2018 / Foto: Batty Blue
E-tropolis-Festival 2018 / Foto: Batty Blue

Kurze Wege und immer Platz zum Tanzen

 

Direkt zwischen den Hallen sind die stets sauberen Toiletten untergebracht, was zumindest den Männchen einen schnellen Boxenstopp ermöglichte. 

Wie auch in der Haupthalle gab es auch hier eine große Balustrade, welche einen ausgezeichneten Blick auf die Bühne ermöglichte. Sehr schön: Selbst zu fortgeschrittenen Stunden blieb noch überall ausreichend Platz zum Tanzen.

Nicht übersehen sollte man die Chill-Out-Area. Hier wird man nicht nur mit Speis und Trank sowie Merchandise versorgt, sondern es gibt auch erfreulich viele Sitzmöglichkeiten, sodass man nicht gezwungen ist, seine Mahlzeit im Stehen einzunehmen.

Mini-Fazit

 

Alles in allem war das E-tropolis hervorragend organisiert. Selbst die Tonprobleme, vor welchen man mich warnte, konnte ich nicht bestätigen. Dafür aber einen weiteren gut gemeinten Rat: Ohrstöpsel nicht vergessen. Vor der Hauptbühne war es sehr laut, und manche Töne klangen mir noch tagelang im Ohr.

Lucifer's Aid, E-tropolis-Festival 2018 / Foto: Batty Blue
Lucifer's Aid, E-tropolis-Festival 2018 / Foto: Batty Blue

Die Bands

 

Ich gestehe: Elektrobands auf Bühnen sind mir immer noch suspekt. Schon bei der ersten Band, JÄGER 90, stellte ich wieder einmal fest, dass man bei dieser Art der Musik schlecht mit realen Instrumenten live performen kann. Was also her muss, ist guter Gesang und eine gute Show. Beides haben die Jungs aus Rostock ziemlich gut gemeistert.

Unbeantwortet bleibt aber meine Frage, ob das Bandlogo auf der Bühne richtig herum gehangen hat.

 

Nach kurzem Umbau auf der Hauptbühne ging es weiter mit Forced To Mode, einer der wohl besten Depeche Mode-Cover-Bands, die es derzeit gibt. Keine Frage, wenn man die Augen schließt, kann man den Unterschied zum Original kaum noch auszumachen. Aber für mich als eingefleischten Depeche-Mode-Fan, stellt sich natürlich die Frage, warum man sich eine 1:1-Kopie einer noch aktiven Band anhören sollte? Aber was soll ich sagen? Sie sind einfach gut ... und für das (junge) Auge ist der Sänger Christian Schottstädt bestimmt auch eher etwas als das inzwischen in die Jahre gekommene Original. 

 

Die Second Stage eröffnete Lucifer's Aid, welche mir vom Stand weg gefielen, nicht zuletzt, weil sich selten ein Lied wie das vorherige anhörte und mich die Schweden damit durch das komplette elektronische Spektrum des noch vor mir liegenden Abends führten. Ich stelle erstmalig fest: So langsam wird mir diese Musikrichtung sympathisch.

Eisfabrik, E-tropolis-Festival 2018 / Foto: Batty Blue
Eisfabrik, E-tropolis-Festival 2018 / Foto: Batty Blue

Eiskaltes Highlight

 

Schneller Spurt zurück zur Haupthalle, in welcher wir uns auf Eisfabrik freuten. Während vor den Türen der Winter noch einmal alles gab, heizten drinnen Dr. Schnee, Der Frost und Celsius dem Publikum ordentlich ein.

Die großartige Band-Performance in Verbindung mit einer sehr gelungenen Bühnenshow machten den Auftritt der Hamburger für mich zum Highlight des Abends.

 

Auf der 2nd Stage spielten nun die Elektro-Veteranen von Xotox auf. Harte Beats und krasse Bässe prasselten erbarmungslos auf mich ein. Ich resignierte.

Dafür bin ich wohl doch tatsächlich doch noch etwas zu zart besaitet, aber der Menge schien es definitiv zu gefallen.

 

Meine Wege führten mich zurück zur Main Stage, in welcher Chrom sanftere EBM-Töne verbreiteten. Ja, das ist eher etwas, das meine alten, müden Knochen zum „Schwofen“ bringt. Obwohl manche Songs doch sehr an die Trancebewegung der 2000er-Jahre erinnern, schien die Band genau hier und heute richtig zu sein.

E-tropolis-Festival 2018 / Foto: Batty Blue
E-tropolis-Festival 2018 / Foto: Batty Blue

Wenn der kleine Hunger kommt

 

Zeit für die Nahrungsaufnahme. Während wir in der Chill-Out-Area auf unsere Pommes warten, lassen wir unsere Blicke durch das Publikum wandern und stellen wieder einmal fest, wie wundervoll diese Schwarze Szene eigentlich ist. Obwohl in dunklen Farben geeint, ist sie mannigfaltig und tolerant. Ein Jeder kann hier sein, wie er sein möchte, anziehen was er/sie/es ästhetisch findet, und niemand wird dafür belächelt oder gar ausgegrenzt für das, was oder wie er ist. Warum eigentlich stellen ausgerechnet solch wundervolle und herzliche Menschen eine Randgruppe unserer Gesellschaft dar? Sind wir tatsächlich die Ausgestoßenen der Oberstadt von Metropolis? 

Nachtmahr, E-tropolis-Festival 2018 / Foto: Batty Blue
Nachtmahr, E-tropolis-Festival 2018 / Foto: Batty Blue

Highlight Nummer zwei 

 

Doch genug der Philosophie, zurück an die Bühne zu Aesthetic Perfection. So langsam brechen die letzten Barrieren meiner Zurückhaltung gegenüber Elektro. Zwar habe ich die Auftritte von Spark! und .com/kill verpasst, aber dafür wurde zum ersten Mal Zeuge der Bühnenshow von Nachtmahr. Tja. Was soll ich als Uniform- und BDSM-Fetisch geplagter Mann schon anderes sagen, als dass sie mir sehr sehr gut gefallen hat? Da kann ich als einer der letzten Wehrdienstleister sogar getrost darüber hinweg sehen, wenn die Tänzerinnen nicht wissen, mit welchem Bein man bei „Links zwo, drei, vier“ anfängt. Ansonsten großartig performt von den Österreichern. Mein zweites Highlight des Abends.

Project Pitchfork, E-tropolis-Festival 2018 / Foto: Batty Blue
Project Pitchfork, E-tropolis-Festival 2018 / Foto: Batty Blue

Müde? Gibt's bei Project Pitchfork nicht

 

Obwohl die Band inzwischen mehr als ein viertel Jarhundert auf dem Buckel hat, stellt man keine, wirklich KEINE Bühnenmüdigkeit fest. Sänger Peter Spilles scheint einfach nicht altern zu wollen. Seine Performance ist nach wie vor großartig. Die Songauswahl ließ absolut keine Wünsche offen. Evergreens wie „Rain“ oder „Timekiller“ ließen die Menge toben. Riesige LED-Wände versetzten den geneigten Zuschauer und Hörer regelrecht in eine Tanz-Trance. Respektabel: Drei komplette Schlagzeuge füllten die Bühne. Dies war nicht nur beeindruckend anzuschauen, sondern hörte sich in Synchronisation auch noch sehr gut an. (Und ich habe schon Probleme mich beim Atmen und Trinken gleichzeitig zu koordinieren). 

VNV Nation, E-tropolis-Festival 2018 / Foto: Batty Blue
VNV Nation, E-tropolis-Festival 2018 / Foto: Batty Blue

Ganz großes Kino mit VNV

 

Der Headliner VNV Nation war wie immer musikalisch ganz großes Kino.  Die Band dominiert zu recht den Thron der europäischen (gemäßigten) Elektro-Szene. Der Sound und vor allem die Texte treffen den Nerv unserer Generation wie kaum eine andere Band.

Und dennoch, irgendwie hatte ich den Eindruck, dass Sänger und Chef Ronan Harris an diesem Abend vielleicht viel lieber auf einer St. Patricks-Day Feierlichkeit gewesen wäre. Dies kann allerdings auch wieder an den ständigen Ermahnungen an das Publikum gelegen haben, bitte nicht zu filmen oder zu fotografieren. Aber das Publikum liebt ihn nun mal. Zu recht!

Eine träumende, gerührte Batty Blue an meiner Seite bestätigten mir nur noch mehr, wie sehr Lieder wie „Resolution“ ans Herz gehen.

Frozen Plasma, E-tropolis-Festival 2018 / Foto: Batty Blue
Frozen Plasma, E-tropolis-Festival 2018 / Foto: Batty Blue

Meine persönliche Erfahrung dieses Abends

 

Das E-tropolis hat sich zu Recht den Ruf einer außergewöhnlichen Veranstaltung erworben. 

Und wenn ich an dieser Stelle nochmals meinen vorigen Vergleich zu Metropolis postulieren darf: „Das Herz muss immer der Mittler sein zwischen dem Hirn und den Händen", so lautet der Sinnspruch des Films. Wir haben beim E-tropolis nicht gearbeitet, wir haben getanzt. Die „Hirne“ stellen für mich die bemerkenswerten Künstler dar, welche allesamt Genies in ihrem Fach sind. Und die Musik ist unsere Herzmaschine, welche vermittelt, wie wichtig es ist, dass wir uns gegenseitig haben. Jene dort oben auf der Bühne und jene dort unten auf der Tanzfläche. Gerne wieder.

E-tropolis-Festival 2018: Die Bildergalerie

Fotos von Batty Blue