Von Gothamella
Unglaubliche 35 Jahre alt ist das Debüt-Album "Script Of The Bridge" von den Post-Punk-Wave-Heroen The Chameleons aus dem britischen Manchester. Wie frisch das Werk von 1983 auch heute noch klingt, davon ließen sich die Gruftboten am 24. Mai 2018 im Osnabrücker Bastard Club gerne überzeugen. Als Sahnehäubchen gab es an diesem sommerlich heißen Donnerstagabend auch noch Then Comes Silence, die schwedischen Post-Punk-Helden von morgen, die den Konzertabend eröffnen sollten.
Mark "Bird" Burgess, Bandgründer, Bassist und Sänger, der die längst (und sogar zweimal) aufgelösten Chameleons als "Chameleons Vox" im Jahr 2009 wiederauferstehen ließ, lud höchstpersönlich an diesem Abend zur Zeitreise. Er und seine aktuellen Mitstreiter (Schlagzeuger Yves Altana sowie die beiden Gitarristen Neil Dwerryhouse und Chris Oliver) präsentierten das legendäre Debütalbum der Band, und zwar so richtig von vorne nach hinten weg, wie sich das gehört.
Die streng chronologische Reihenfolge von "Script Of The Bridge" katapultierte Musikfreunde, die noch mithilfe von LPs sozialisiert worden sind, umgehend zurück in ihre Jugend. Sie kennen auch noch Sätze wie: "Das dritte auf der zweiten Seite ist das beste". Hach, toll war das.
Bei "Script Of The Bridge" ist allerdings leider eins der schönsten jemals geschriebenen Wave-Hymnen ausgerechnet das erste Lied auf Seite eins, der Ohrwurm-Opener "Don't Fall". Und so kam es, dass das Lieblingslied der Autorin gleich das erste war, das Mark Burgess an diesem Abend im tropisch heißen Kellergeschoss des üppig gefüllten Bastard Clubs anstimmte. So schön. Und so schade, dass "Don't Fall" nach knapp vier Minuten dann auch schon wieder vorbei war.
Doch die Platte war damals ein Gesamtkunstwerk, das man wieder und wieder durchgehört hat. Und das ist es heute natürlich erst recht. Und so konnte man sich auch beim Gig in Osnabrück freuen, dass nach dem einen Hit gleich der nächste folgte. Wunderbar waren alle, herausragend schön daher aber kamen "Second Skin", "Paper Tigers" und natürlich "View From A Hill", Nummer zwölf des Longplayers und "das letzte auf der zweiten Seite". 2007 hat Burgess im Selbstverlag eine Autobiografie herausgebracht, die er ebenfalls "View From A Hill" taufte. Glaube, die sollte man mal lesen.
Fans der Chameleons jedenfalls kamen in Osnabrück voll auf ihre Kosten: die Stimme von Mark (obendrein ein echter Charmeur) kraftvoll und auf den Punkt, das herrliche, doppelte, schwebende Gitarrenbett, dazu knackiges Schlagzeug und der treibende Bass von Burgess selbst. Selige Mienen allüberall. Wer die Band allerdings nicht kannte, der hätte sich wohl auch gut langweilen können. Das Konzert war für Fans, weniger geeignet für zufällig reingeflatterte Nachtschwärmer.
Wie gut, dass Then Comes Silence aus Stockholm auch da waren. Die Schweden um den ebenso schönen wie fähigen Bandmaster, Sänger und Bassist Alex Svenson rockten mit ihren kräftig-treibenden Post-Punk-Songs mal eben den Laden. Schon wieder, muss man sagen, denn ebendies gelang ihnen schon im November 2017, damals aber auf der (noch kleineren) Bühne im Obergeschoss des Bastard Clubs. Diese vier Herren sind einfach gut, und die aktuelle Begeisterung für den guten, alten Sound in der Gothic-Szene arbeitet für sie.
Gruftboten-Prognose: Then Comes Silence werden noch ganz groß. Dafür spricht auch ihr Auftritt im pickepackevollen Westbad beim diesjährigen WGT in Leipzig.
Speziell das Zusammenspiel von Alex und seinem Schlagzeuger Jonas Fransson überzeugt, während die Interaktion mit den beiden Gitarristen etwas zu kurz kam. Muss aber auch nicht, schließlich ist Frontmann Alex eh die unangefochtene Nummer eins der Schweden, die mit ihrem 2017er Album "Blood" eine Platte abgeliefert haben, die jedes gut sortierte Indie-Gothic-Rock-Post-Punk-Regel ziert. Auch live ist der Titelsong "Blood" ein Genuss, ebenso wie "Strangers", das wild-schöne "Bones" und vor allem der melodiöse Hit "Good Friday". Runde Sache, alle verschwitzt, alle happy.
Fazit: Ein toller Wave- und Post-Punk-Konzertabend im definitiv coolsten, angemessen abgeranzten Club, den Osnabrück zu bieten hat. Sozusagen die ganz große Welle. Das hat Spaß gemacht, mehr davon!
Chameleons Vox und Then Comes Silence am 24. Mai 2018 in Osnabrück - Die Bildergalerie
Fotos von Batty Blue