Erfinder des Autumn Moon-Festivals in Hameln: Ein bisschen Wahnsinn gehört dazu

Autumn Moon-Festival 2017 / Foto: Batty Blue
Autumn Moon-Festival 2017 / Foto: Batty Blue

Am kommenden Wochenende steigt im schnuckeligen Hameln eins der ungewöhnlichsten und jüngsten Festivals der Szene: das Autumn Moon, das in diesem Jahr zum vierten Mal über vier Bühnen der Rattenfängerstadt geht. Als Headliner erwarten uns dort die unvergleichlichen Covenant aus Schweden (die derzeit an einem neuen Album arbeiten) sowie die Szene-Urgesteine Fields of the Nephilim. Dazu gibt es interessante Bands von Post Punk (Then Comes Silence, INVSN) bis Spaßpunk (Dein Ernst) sowie alte Indie-Helden (The Godfathers) und Langvermisste (Coppelius). Knapp 50 Bands an zwei Tagen, mit kurzen Wegen zwischen den Locations, einem gemütlichen Mittelalter-Markt, der ohne Eintritt zugänglich ist, sowie einem Konzept, das Musikliebhaber von schwarz bis Indie anlocken soll und zugleich Nachhaltigkeit auf die Prioritätenliste setzt.

Wie das alles zusammenpasst und warum ein bisschen Wahnsinn dazugehört, wenn man ein Festival neu aus dem Boden stampfen möchte, haben die Gruftboten den Macher und Erfinder des Festivals, Dominik Wrhel, gefragt. Lest hier unser Interview mit ihm: 

 

(Und wer wissen will, wie schön das Autumn Moon im vergangenen Jahr war, kann die Gruftboten-Nachlese hier noch mal nachlesen)

Covenant, Call The Ship To Port 2018 /Foto: Dunkelklaus
Covenant, Call The Ship To Port 2018 /Foto: Dunkelklaus

Gruftbote: Das Autumn Moon geht dieses Jahr zum vierten Mal in Hameln über die Bühnen. Wer dieses junge Festival also noch nicht kennt: Beschreibe doch bitte mal kurz, wie es dazu kam und was das Autumn Moon von anderen schwarzen Veranstaltungen wie dem M'era Luna, dem Amphi oder dem WGT unterscheidet.

 

Dominik: Alles ist hier anders und sucht auch nicht den Vergleich zu den großen Outdoor-Sommerfestivals. Allein schon, dass das Line Up letztlich für eine kleine, feine Meet-and-Greet-Party mit 3500 Leuten (das wäre die "Ausverkauft-Grenze") völlig oversized ist, spricht vielleicht irgendwann für sich. Mit dem Bestreben, die Norm bekannter Festivalkultur zu sprengen, haben wir unser Hab und Gut an unsere Herzensangelegenheit verpfändet, um für die Musik und die Chance zu kämpfen, Grenzen aufzulösen und dem Irrsinn der krankenden Musikbrache die Stirn zu bieten, um wahrhaftig Räume für Musikliebhaber zu schaffen.

Gruftbote: Bist Du selbst Teil der schwarzen Szene? Vielleicht stellst Du Dich mal ganz kurz vor...

 

Dominik: Ich bin seit fast 30 Jahren Teil der Indie-Szene. Hier fanden sich musikalische Alternativen auf dem Sampler der Gegenkultur…Punk, Gothic, Indie, Wave, alle Rebellen vereint. Jetzt ist alles in Nischen unterteilt, vermarktet und kommerzialisiert ohne zu merken, dass es immer um mehr ging als das, was den Mehrwert jetzt auszumachen scheint.

Gruftbote: Das Festival findet ja mitten in der City statt - wie haben denn die Hamelner auf all das seltsame Schwarzvolk in ihrer Stadt reagiert?

 

Dominik: Wohlwollend, begeistert und überrascht, wie viele nette Menschen auf einmal die Stadt bevölkern. Hameln hat sich von Anfang an als Stadt voller Toleranz und Offenheit gezeigt und ist von Seiten der Verwaltung und dem Stadtmarketing von Beginn an unterstützend aktiv gewesen. Schon hier wurde der Grundstein in eine weitere Zukunft ohne Vorurteile oder andere Barrieren gelegt. Besser geht und ging es nicht für dieses Projekt!

Fields Of The Nephilim, Amphi-Festival 2017 / Foto: Dunkelklaus
Fields Of The Nephilim, Amphi-Festival 2017 / Foto: Dunkelklaus

Gruftbote: Wie überzeugt man Bands, bei einem neuen Festival mitzumachen? Und wie wählt Ihr die Bands für das Line-Up grundsätzlich aus?

 

Dominik: Im ersten Jahr hat die Versuchung, der Wahnsinn, die Spinnerei und die Naivität Szenegrößen wie And One und Deine Lakaien überzeugt. Dann ging es nur noch darum, wer hat wann Zeit und wer begeistert uns ohne Rang und Namen dabei zu sein. Die Suche, das Besondere, Unerwartete zu finden treibt uns immer an. Da lagen wir auch schon falsch und haben uns blenden lassen. Aber grundsätzlich fühlte sich jede Band bei uns bisher wohl und hat das scheinbar auch so weitergegeben. Jetzt möchte eigentlich fast jeder mal vorbeischauen, wenn es sich einrichten lässt. Aber wir haben ja noch unendliche Jahre vor uns, in denen wir uns nicht wiederholen müssen, außer es gibt was zu feiern wie das fünfte Autumn Moon. Den Anlass nutzen wir, um einige erste Begleiter wieder einzuladen und Danke zu sagen.

Gruftbote: Ist ja eine ziemlich wilde Mischung. Welches Publikum wollt Ihr ansprechen?

 

Dominik: Offene, begeisterungsfähige Musikliebhaber.

Gruftbote: Wie viele Besucher erwartet Ihr dieses Jahr? Da die Spielstätten ja eine begrenzte Menge Leute fassen, gibt es vermutlich eine Obergrenze. Ab wann müsstet Ihr also sagen: Sorry, es gibt keine Tickets mehr, wir sind ausverkauft?

 

Dominik: Ja da haben wir leider immer noch schmale, aber dadurch auch irgendwie attraktive Zahlen zu vermelden. Wenn 2500 Leute dieses Jahr den Weg zu uns schaffen und im "kleinen Rahmen" ihre Helden oder Neuentdeckungen sehen können, schaffen wir bestimmt, mit der fünften Edition den Ausverkauf mit 3500, die das Festivalkonzept maximal fassen kann.

Autumn Moon-Festival 2017 / Foto: Batty Blue
Autumn Moon-Festival 2017 / Foto: Batty Blue

Gruftbote: Lass doch unsere Leser mal einen kleinen Blick hinter die Kulissen der Orga werfen: Was gab es in der Vergangenheit für Pannen, lustige oder auch knifflige Situationen?

 

Dominik: Da gibt es nix hervorzuheben, außer dem außergewöhnlichen Engagement aller Beteiligten die Welt zu retten, wenn ein Kasten Bier im Backstage fehlt.

Gruftbote: Was würdest Du anders machen, wenn Du die Zeit zurückdrehen könntest?

 

Dominik: Nicht wieder so naiv zu sein, alle Regeln im Festivalgeschäft mit einer vielleicht genialen Idee auf den Kopf zu stellen. Zurück geht aber ohnehin nicht, da hilft es nur am Ball zu bleiben und zu rennen, rennen, rennen, egal ob Tor oder nicht.

Gruftbote: Und was hat sich von Anfang an bewährt?

 

Dominik: Wahrhaftig und naiv zu sein und weiter daran zu scheitern.

Coppelius, M'era Luna-Festival 2015 / Foto: Dunkelklaus
Coppelius, M'era Luna-Festival 2015 / Foto: Dunkelklaus

Gruftbote: Hast Du eine Lieblingsband, die Du zu gern einmal beim Autumn Moon dabei hättest?

 

Dominik: Musik ist mein Leben, und das beschränkt sich gewiss nicht auf eine Band oder Lieblingsband. Habe ich auch gar nicht, weil ja genau die Bewegung das Spannende ist und alte Helden zwar nicht vergessen werden, aber die Sucht nach neuen Überraschungen größer ist als festhaltende Einschränkung. Eine Story kann ich aber hierzu erzählen: Letztes Jahr waren das Line Up und alle Slots dicht, da kam die Anfrage eines Agenten rein, ob wir nicht noch Platz für einen Newcomer hätten. Normalerweise hätte niemand reagiert, da wir aber mit dieser Agentur schon oft versucht hatten, für uns Acts zu buchen, wurde mir diese Anfrage weitergeleitet. Ich war völlig aus dem Häuschen, dass wir mit der Anfrage von INVSN eine scheinbar unbekannte Band auf dem Tisch hatten. Es ist die neue Band von Dennis Lyxzen, der mit Refused Held meiner Jugend war. Refused war für mich nach Nirvana eine der prägendsten Bands überhaupt.

Mit dem schwedischen Kick Ass Rock von The International Noise Conspiracy hat er mich schon einmal mit in die Gegenwart genommen. Er war einer der würdigsten Vertreter dieser Zeit und mit seiner neuen Band, die ich natürlich kannte und auch schon für passend fürs AM befunden hatte, bewirbt er sich bescheiden für unser Festival. Mir blieb nix anders übrig, als nach dem Headliner in der Halle noch einen Slot einzubauen, um INVSN auf dem AM zu präsentieren. Eine namenlose Band in der Szene und 600 Leute hatten sich schlaftrunken vor die Bühne gerafft. Fast keiner kannte die Band oder wusste, was hier gleich passiert. Kein Soundcheck und dann kam dieses Brett, eine Energie unvergleichbaren Ausmaßes, von der Bühne geflogen. Ein Dennis vor der Bühne zwischen den gerade Erwachten, rockend und jeden mitnehmend, wild gestikulierend und brennend für die Musik. Danach haben uns die Fans, die ja vorher noch keine waren, gefragt, warum wir diesen ganz klar mindestens Co-Headliner so spät als Anhängsel des Festivals haben spielen lassen. Dieses Jahr they are back as co-head ;-)

Gruftbote: Hast Du überhaupt Zeit, Dir selbst ein paar Bands anzusehen? Welche wären das dieses Jahr und warum?

 

Dominik: Ich kann mich immer irgendwie, dank meines genialen Teams, genau dafür freimachen und hin und her hoppen, um möglichst alle Stimmungen kurz einzufangen. Bei meinen Faves bleib ich hängen und verpass dann auch schon mal was, da geht es mir wie den meisten ;-)

 

 

Autumn Moon-Festival 2017 / Foto: Batty Blue
Autumn Moon-Festival 2017 / Foto: Batty Blue

Gruftbote: Ihr habt Euch Nachhaltigkeit auf die Fahne geschrieben. Was muss ich mir darunter vorstellen?

Wie organisiert man eine umweltverträgliche Großveranstaltung?

 

Dominik: Grundsätzlich fängt das ja bei den großen Verbrauchern an. Durch unsere Möglichkeit, direkt am Netz unseren Strom zu beziehen, fällt jeder überflüssige Abgasausstoß weg und wir benötigen kaum zusätzliche Infrastruktur, die nur für uns angefahren wird. Unsere Gäste schlafen in vorhandenen Unterbringungsmöglichkeiten von Camping bis Hotel, also auch hier muss nichts extra her. Wir wahren nicht nur den Schein, Müll zu trennen, denn auch hier hilft uns das vorhandene städtische Netz. Dazu kommen pfand- und recyclefähiges Geschirr und die grundsätzlich ökologische Haltung unseres Betriebes und Mitarbeiter. Und ein paar Gastronomen konnten wir, durch unsere Unterstützung bei den Zulieferwegen, dazu bewegen, auch anteilig auf Bio zu setzen, somit sind 30 Prozent aller Essensangebote Bio. Und da wir uns da als Vorbild sehen, um andere überzeugen zu können, schenken wir grundsätzlich auf allen Veranstaltungen Bio-Bier und -Säfte meist aus der Region aus. Dass mit dem Bier gelingt beim Autumn Moon leider nur im Außenbereich, da in den Venues gebundene Marken vertrieben werden müssen.

Grufbote: Und zum Schluss: Warum ausgerechnet Hameln?

 

Dominik: Wir veranstalten hier seit sieben Jahren immer am ersten März-Wochenende die Mystica Hamelon. Auf der Suche nach Ausweichflächen, um dem Besucherstrom Herr zu werden, bin ich auf das Kleinod an der Weser gestoßen. In diesem Jahr hatten wir Subway to Sally in der Rattenfängerhalle als Topping zur Mystica. Den kultigen Kulturverein Sumpfblume kannte ich aus ganz frühen Jahren. Ich war auf der Suche nach einem Indoorkonzept, da blieb noch die Weser und sofort dachte ich an Konzerte auf Schiffen. Diesen tollen Platz vor der Nase, der das alles verbindet, und los ging's! Das klingt romantisch und war es auch bis man merkt, dass Rom nicht in einem Tag erbaut wurde und vielleicht gute Ideen eben auch die guten Leute erreichen müssen. Den Zuspruch, das Richtige zu machen, weit weg vom Mainstream, hatten wir sofort und auch nach fast einer halben Million Euro an Investition halten wir noch dran fest.

Lust bekommen, mal in Hameln beim Autumn Moon vorbeizuschauen? Es gibt noch Tickets. Die Gruftboten sind auch da...