Von Gothamella
Es gibt Konzertabende, an denen man sich wahrlich privilegiert fühlen darf. Etwa dann, wenn eine Top-Szene-Band, die seit sage und schreibe 14 Jahren keine neue Platte herausgebracht hat und deren Live-Auftritte ebenfalls viel zu rar gesät sind, sich kurzfristig für gerade mal fünf Clubkonzerte ankündigt. So geschehen bei Icon of Coil an diesem Samstag (29. Dezember 2018) in der komplett ausverkauften Subkultur in Hannover.
Eng war es, heiß auch, aber hey: Andy LaPlegua, vielleicht einigen besser bekannt als stimmgewaltiger Frontmann der norwegischen Aggro-Industrial-Rocker Combichrist, war gekommen und hatte alle tollen Hits seines nie ganz vergessenen Future-Pop-Projekts Icon of Coil im Gepäck. Das freut die ganze Dark-Elektro-Fan-Truppe von Weiber-Elektro bis EBM. Kurz: Die kleine, feine Subkultur in Hannover war pickepacke voll, die Stimmung gut, die Erwartung entsprechend hoch.
Hoch war allerdings auch der Promi-Faktor. Schließlich bestritt den Auftakt des Abends Telemark, das Ein-Mann-Future-Pop-Project des Schweden Elliott Berlin, im anderen Leben Live-Keyboarder bei Aesthetic Perfection. Ein würdiger Starter, denn weder leichte Anlaufschwierigkeiten noch ein paar charmant überspielte Texthänger störten das elektronische Tanzvergnügen. Zumal Alleinkünstler Telemark nicht nur schön anzusehen ist und seine Tasten und Regler beherrscht, sondern auch richtig gut singen kann.
Telemarks Musik wurde schon mal als Dark Disco oder auch Digital Dance Music bezeichnet, das passt auch. Ein bisschen Machinista ist vielleicht auch drin, vor allem die Stimme erinnerte hier und da an die ebenfalls sehr melodiösen Lines der schwedischen Elektro-Pop-Truppe. Sehr schön. Hätte Telemark CDs im Angebot, die Gruftboten (und sämtliche anwesenden Freunde) hätten sie mit Vergnügen gekauft. Doch ach, zu klein ist offenbar die Fangemeinde. So werden wir uns eben alles kostenlos downloaden und darauf hoffen, Telemark alsbald wieder live zu erleben. Echt unterschätzt, der Mann.
Der Star des Abends war natürlich Andy LaPlegua, Chef von Combichrist und Panzer AG, böser Bube vom Dienst, Ex-Gatte von Sophia Thomalla und - was viel wichtiger ist - Sänger der Future-Pop-Gruppe Icon of Coil, die uns Anfang der Nullerjahre so wunderbare Tanzflächenkracher wie „Shelter“ oder „Dead Enough For Life“ beschert hat.
Und wie schon beim Out of Line-Weekender im Mai dieses Jahres in Berlin (hier der Bericht zum Nachlesen) rockte Andy LaPlegua den Laden sozusagen im Alleingang - unterstützt von seinem Freund und Mitstreiter Elliott Berlin an den Keyboards, der für den erkrankten Christian (Lund) eingesprungen war und seine Sache bestens machte. Zwei Freunde machen zusammen Musik, und alle tanzen dazu. Das hat sehr viel Spaß gemacht!
Erstaunlich: Obwohl das Publikum eigentlich zum Großteil zu jung war, um die Anfänge von Icon of Coil als Volljährige mitzubekommen, war es doch erstaunlich textfest. Besonders die sanfteren, weniger EBM-lastigen Stücke kamen sehr gut an. Frontmann Andy genoss den Auftakt sichtbar, auch ein böser Bube mag es wohl gern mal schmusig. Es wurde gesungen, gelacht, gehüpft, geklatscht und getrunken, toll!
Zugaben gab es leider nicht, dafür eine fluffige Aftershow-Party mit DJ::AMD:: (ehemals DJ im Hannoveraner Szene-Club Engel 07), die den Abend prima abrundete. Nur für die verweichlichten Gruftboten hätte es zwischendurch vielleicht noch eine Schippe sanfter, sprich futurepoppiger sein können.
Extra-Tipp: Wer Icon of Coil und Telemark erleben will, kann entweder heute (30. Dezember 2018) im Berliner Privatclub oder morgen im Dresdener Club Straße E sein Glück versuchen. Noch gibt es Karten für beide Locations. Die Gruftboten sagen: Hin! Es lohnt sich.
Icon of Coil und Telemark am 29. Dezember 2018 in Hannover - Die Bildergalerie
Fotos von Dunkelklaus